Ich stehe also morgens auf, gehe aus dem Haus und fahre mit der Fähre nach Europa. Egal wie windig setze ich mich dann meistens nach draußen aufs Deck, trinke meinen çay und genieße u. a. diesen Ausblick:
![2016-10-12-09-24-49](https://going2istanbul.wordpress.com/wp-content/uploads/2016/10/2016-10-12-09-24-491.jpg?w=607&h=342)
In Karaköy angekommen sehe ich jeden Morgen den Mann am Fähranleger, der Nagelpflegesets und Gürtel verkauft und den Herrn beim Eingang der Unterführung, der Taschentücher anpreist. Es ist schön, jeden Tag Bekanntes in dem großen Durcheinander der Stadt wiederzufinden. Ich merke, dass ich mich für den Herrn mit den Taschentüchern richtig freuen kann, wenn sein Sack voll Taschentücher-Packungen abends nur noch halb so voll ist wie morgens. Durch die Unterführung durch steige ich in die Seilzug-Bahn im „Tünel“ ein und fahre den Berg bis zur İstiklal, einer großen Einkaufsstraße im Zentrum, hoch. Diese Straße laufe ich dann entlang, bis ich zum Goethe-Institut abbiege. Die İstiklal schläft nie – immer ist etwas los, immer sind Menschen unterwegs. Morgens freue ich mich immer über die vielen Katzen, die einen älteren Herren begrüßen, der sein Geld damit verdient, dass man sich auf seiner Waage wiegen kann. Zugegebenermaßen wirkt der Mann eher unfreundlich, aber Katzen sind einfach tolle Tiere..
Nach meinem Arbeitstag laufe ich die İstiklal zurück und habe erschrocken entdeckt: Die Weihnachtsbeleuchtung hängt schon und wird abends bereits angeschaltet! Hätten die nicht wenigstens bis November warten können? Ich habe heute noch Sandalen getragen…
Abends ist die Straße noch viel belebter als morgens, viele Straßenmusiker spielen v. a. türkische Musik. Mir gefällt es, wie sehr Straßenmusik noch wertgeschätzt wird – es stehen eigentlich um jede Gruppe Menschen, hören zu, machen Bilder und Videos und geben dann auch Geld. Auf meinem Weg nach Hause fahre ich nicht durch den Tünel, sondern laufe den Berg runter am Galata-Turm vorbei.
![20161014_172612_richtonehdr](https://going2istanbul.wordpress.com/wp-content/uploads/2016/10/20161014_172612_richtonehdr.jpg?w=490&h=871)
Häufig beeile ich mich, um die Fähre nicht genau zu verpassen und dann 20 Minuten warten zu müssen. Trotzdem mag ich den Weg, finde es spannend, so viele verschiedene Menschen zu sehen. Manchmal bleibe ich kurz stehen, um etwas genauer zu sehen, besser mitzubekommen, besser beobachten zu können. Auch auf der Rückfahrt mit der Fähre setze ich mich meistens raus, wobei es dann doch manchmal zu kalt wird. Abends sind immer Musiker auf der Fähre, die manchmal gut, manchmal gar nicht gut sind – aber auch hier gilt: Die meisten Passagiere klatschen nach den Stücken, viele geben Geld im Anschluss. Wenn die Fähre ablegt, geht die Sonne meistens gerade unter, wenn ich ankomme, ist es fast schon dunkel geworden. So entstehen ganz viele verschiedene Farben am Himmel, die mich jeden Tag wieder beeindrucken..
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Mein Praktikum läuft seit dieser Woche und ich habe schon jetzt viele verschiedene Eindrücke gewinnen können. Die KollegInnen im Büro sind alle sehr freundlich und ich weiß mittlerweile schon einigermaßen, mit welchem Anliegen ich zu wem gehen kann. Seit gestern habe ich auch einen Schlüssel für das Büro, sodass ich mich deutlich akzeptiert fühle, auch wenn ich immer noch auch deutlichen Praktikanten-Status habe. Bisher habe ich mich viel mit Anmelde-Tabellen auseinandergesetzt, Bücher digital erfasst und andere stupide (wenn auch natürlich (!) sehr sehr wichtige) Arbeit erledigt. Ich konnte aber auch z. B. eine Rallye für SchülerInnen überarbeiten und so ein wenig praktischer arbeiten. Immerhin weiß ich, wofür die Verwaltung ist: Ab nächstem Monat wird es viele Veranstaltungen geben, die ich dann auch aktiv mit betreuen kann, sodass ich mal aus dem Büro raus komme. Gestern gab es einen Empfang für eine neue Abteilungsleiterin mit gutem Wein, leckerem Essen und viel Smalltalk – sehr anstrengend. Ich bin einfach nicht gut in „sehen und gesehen werden“ und „ich bin die beste in was auch immer“. Trotzdem war es spannend dabei zu sein und auch so etwas zu erleben. Und: Der Ausblick von der Dachterrasse auf fast ganz Istanbul bei Nacht war es sowieso wert.
Meine bisherige Arbeit scheint aber sehr wertgeschätzt zu werden: Heute haben sich verschiedene Leute bereits dafür eingesetzt, dass ich schneller mal aus dem reinen Büro-Leben raus komme, mehr machen kann. Immerhin! Ich bin auf jeden Fall gespannt auf die nächste Zeit, wenn es nicht nur darum geht, Namen in Tabellen einzugeben.
Über mein Zuhause freue ich mich immer noch. Die Lage ist einfach perfekt und die Menschen sehr freundlich und aufgeschlossen. Das Titelbild dieses Beitrags ist der Blick vom Fähranleger (ich laufe 10 Minuten dorthin) auf die europäische Seite – in klein zu sehen sind die Blaue Moschee, die Hagia Sophia und der Topkapı Palast. Die Verkäufer an den Marktständen kennen mich mittlerweile, freuen sich über mein gebrochenes Türkisch und versuchen, mir das Obst und Gemüse auf Türkisch beizubringen – dabei bin ich doch schon froh, wenn ich die Zahlen verstehe!
Es ist schön, sagen zu können, dass ich ein Zuhause habe. So fühlt es sich auch an. Für dieses Wochenende habe ich mir vorgenommen, mir mein Zimmer noch gemütlicher einzurichten, etwas an die Wände zu hängen. Das Wohnzimmer ist jedoch so groß, dass ich sowieso die meiste Zeit dort verbringe. Übrigens spannend: Wir haben keinen Fernseher, weil der (mal freihand aus dem Englischen übersetzt) „vorgefertigte politische Mist mich nicht den ganzen Tag von überall nerven soll“.
Meine Mitbewohnerin und mein Mitbewohner sind beide super nett, wenn auch häufig nicht zu Hause oder mit anderen Dingen beschäftigt. Trotzdem schaffen wir es, manchmal Zeit zusammen zu verbringen, ein Bier zusammen zu trinken. Aber auch das habe ich mir für dieses Wochenende vorgenommen: Mehr Leute kennenlernen! Große Pläne für so einen kurzen Zeitraum, aber auch ein großes Bedürfnis. Es ist schon komisch, all die vielen Menschen, die ich sonst so kenne und jeden Tag sehe, nicht mehr ums Eck zu haben. Gleichzeitig ist es aber auch ganz schön und gut, mal Zeit für mich zu haben und zur Ruhe zu kommen (Ich zwinge mich sogar, gerade noch nichts für die Uni zu machen – gar nicht mal so leicht!).
Schließlich bin ich doch erst zwei Wochen hier.. Es fühlt sich einerseits viel kürzer an, weil noch so viel ungewohnt ist; andererseits fühlt es sich viel viel länger an, weil ich bereits so viel gesehen und so viele verschiedene Sachen erlebt habe.
Spaß mit Türkisch hatte ich bisher jeden Tag. Beim Bestellen des Mittagessens bin ich eigentlich nie sicher, was ich wirklich bekommen werde – einen Tag bin ich von Kürbismuß mit Reis und Joghurt ausgegangen, bekam aber Hackfleisch mit Zucchini, Reis und Joghurt. Immerhin: Reis und Joghurt sind Wörter, die ich mir merken kann; für den Rest gebe ich Google-Translate die Schuld. Sehr lecker ist, wie ich finde, Menemen. Das ist für mich „türkisches Rührei“. Das Gericht besteht aus Eiern, Käse, Tomatensauce, Paprika und Zwiebeln und wird vermischt; dazu gibt es Brot.
Beim Einkaufen im Supermarkt habe ich auch so meinen Spaß – oder werde böse, weil ich zu ungeduldig bin. Ich war nach einem langen Arbeitstag auf der Suche nach fertiger Tomatensauce und habe keine gefunden. Also wollte ich passierte Tomaten kaufen, um mir möglichst schnell selbst eine Sauce machen zu können. Zu Hause angekommen durfte ich dann feststellen, dass ich eine große Dose (ja, eine der sehr großen Dosen) Tomatenmark gekauft hatte. Wer verkauft denn Tomatenmark in riesen Dosen?
Nach der Zeit, die ich nun doch schon hier bin, kam ich natürlich nicht drum herum, auch mal meine Wäsche zu waschen. Dann stellte ich fest, dass die Waschmaschine (auch dumm, anderes anzunehmen) vollständig auf Türkisch beschriftet ist und natürlich auch mehr als nur ein Mal ein 40-Grad-Programm anbietet. Ich saß so lange auf dem Boden vor der Waschmaschine mit meinem Wörterbuch und Handy-Übersetzungen, dass sich sogar der Kater zu mir gesellte.. Aber immerhin: Ich hab’s geschafft! Die Wäsche ist sauber und nicht eingelaufen.Nach all diesen, rückblickend doch sehr witzigen, Situationen habe ich noch mehr als zuvor das Bedürfnis, Türkisch besser zu lernen. Aber gar nicht mal so leicht, wenn zu Hause eigentlich nur Englisch und auf der Arbeit eigentlich nur Deutsch gesprochen wird. Es muss endlich ein Türkischkurs her..! Bis dahin lerne ich noch jeden Tag ein paar neue Wörter und erweitere so immerhin meinen Wortschatz. Zu meinen momentanen Errungenschaften gehören u. a. bis morgen yarın görüzürüs und scharf acı (was passenderweise gleichzeitig auch „Schmerz“ bedeutet).