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Herzensmoment

Am Wochenende wartete ich an einer Straßenecke auf einen Freund. Nicht weit entfernt saß ein kleines Mädchen und bettelte mit einem Schild in der Hand, auf dem u. a. stand, dass sie Hunger habe (den Rest konnte ich nicht verstehen). Ich vermutete, auf der anderen Straßenseite ihre Eltern oder Verwandten und ihre Geschwister zu sehen, die dort bettelten bzw. auf das durch die Kinder erlangte Geld warteten.

Das Mädchen sah nicht nur traurig und müde aus, für ihr Alter hatte sie auch viel zu wenig Energie, sah aus, als hätte sie überhaupt keine Hoffnung mehr. Ihre Augen ließen vermuten, dass sie irgendetwas konsumiert hatte und eine Träne unterm Auge war noch nicht richtig getrocknet. Innerhalb von Sekunden musste ich an meine Arbeit mit Straßenkindern in Bolivien denken. Dort zu warten, einfach nur rum zu stehen, ohne irgendetwas zu tun, kam gar nicht in Frage. Ich ging zum Kiosk um die Ecke und kaufte für das Mädchen ein Überraschungsei und eine Nuss-Frucht-Mischung.

Damit ging ich zurück zu dem Mädchen und fragte sie, wie sie heißen würde. Völlig verwundert schaute sie mich an, aber traute sich nicht, irgendetwas zu sagen. Ich merkte, dass sie mich auf Türkisch verstehen konnte und erklärte ihr, dass ich etwas zu essen für sie habe. Beides nahm sie mit großen Augen an und lächelte ein wenig. Der Lotto-Verkäufer, der seinen Stand direkt neben ihrem Platz hatte, kannte das Mädchen bereits und sagte mir ihren Namen. Das Mädchen schien ihn zu mögen und bot ihm etwas von den Nüssen an – wie schön!!! Freudestrahlend packte sie dann das Überraschungsei aus, aß die Schokolade und bat mich, ihr beim Öffnen der Überraschungsverpackung zu helfen. Ab dem Moment traute sie sich dann auch, mit mir zu sprechen. Sie freute sich riesig über den Stift im Überraschungsei und war so verwundert, dass er schrieb, dass sie durch das viele Ausprobieren des Stiftes zum Schluss eine ganz rote Hand hatte. Genauso zeigte sie den anderen Kindern, die vorbei liefen, ihren Stift.
Das kleine, zusammengekauerte, traurige Mädchen strahlte auf ein Mal. SO SCHÖN!

Sie erzählte dann, dass es tatsächlich auf der anderen Straßenseite ihre Eltern waren und sie aus Zonguldak, einer Stadt ca. 240 km im Osten Istanbuls, kämen. Sie sei 6 Jahre alt und würde in die erste Klasse gehen. Sie fragte mich auch, ob ich ihr 1 Lira geben könne und verstand es aber sofort, dass ich das nicht machen würde, weil ich ihr ja Essen gekauft hatte.

Man kann Kinder häufig so leicht glücklich machen – besonders die Kinder, die sonst nicht viel haben, sind meistens schon mit so wenig zufrieden. Das sollte sich jedeR viel häufiger zu Herzen nehmen! ❤

Adventszeit

Es ist schon komisch, in einem Land zu sein, in dem Weihnachten und die gesamte vorweihnachtliche Zeit einfach überhaupt keine Rolle spielt. Vor ein paar Tagen habe ich meiner Mitbewohnerin erklärt, was ein Adventskalender ist, dass wir traditionell zu Weihnachten zu jedem Advent eine Kerze anzünden etc.
Das sind Dinge, die sonst so selbstverständlich in den Alltag integriert sind, die ich schon genauso lange kenne, wie ich lebe. Aber wenn ich mal ehrlich bin: Wie viel weiß ich über den Ramadan, Ramazan Bayramı – das Zuckerfest – und andere Feste? Viel zu wenig!
Momente wie diese, in denen man Teile der eigenen Kultur und Religion erklärt, machen so bewusst, dass man gerade in einem ganz anderen Land, einer anderen „Welt“ ist. Eigentlich voll schön!

Im Goethe-Institut steht ein riesiger Tannenbaum, über den ich mich sehr gefreut habe. Ich habe auch einen Adventskalender, eine Kerze, Spekulatius und Stollen. So sehr ich mich darüber freue, jeden Morgen ein hübsches Bild hinter dem Türchen zu finden, so ist es auch komisch: Das letzte Türchen zu öffnen, bedeutet auch, dass ich an dem Tag zurückfliegen werde. Es ist eine Art Countdown, von dem ich noch nicht weiß, wie sehr ich mich darauf freuen und wie schade ich es finden soll.
Ich bin hier mittlerweile doch ganz gut zu Hause, freue mich aber auch auf das gemütliche Weihnachten mit allem, was dazugehört!

Hupen 1×1

Wer hupt da?

Taxen
dolmuşlar
Roller
Tram
LKWs
Autos
Motorräder
Fähren
Schiffe

Jeder.
Doch was bedeutet das eigentlich ?

Langes Hupen: Warum geht das nicht voran?!, Fahr schneller!, Bist du bescheuert, so über die Straße zu laufen?!, Bist du bescheuert, mir fast reinzufahren?!, Lass mich vorbei!, Ich fahre gleich los!, Mach mal Platz!
Kurzes Hupen: Ich bin da!, Mach mal Platz!, Ich fahre gleich los!
Viel Hupen: Hallo!, Möchtest du mitfahren?, Tschüß!, Ich fahre jetzt los., Warum geht das nicht voran?!, Bist du bescheuert, so über die Straße zu laufen?!, Bist du bescheuert, mir fast reinzufahren?!, Lass mich vorbei!, Mach mal Platz!

Und die Moral von der Geschicht‘: Langes, aber vor allem viel Hupen kann so richtig viel heißen, schadet nie und wird immer gemacht.

Und in der Zwischenzeit…

… waren mal spontan einen dreiviertel Tag fast alle sozialen Medien gekappt, damit Videos von Verhaftungen, die auch durch die deutschen Medien gingen, nicht verbreitet werden konnten. Das war letzte Woche Freitag. Freitag und Samstag waren Demonstrationen in der Stadt, die sich für die kurdische Bewegung ausgesprochen haben – von denen habe ich aber nicht mitbekommen. Außerdem roch es in der Innenstadt vor allem am Freitagabend stark nach Tränengas, das bei entsprechenden kleinen Ausschreitungen eingesetzt wurde.
Dass das Internet/soziale Medien kaum funktioniert haben, habe ich erst so richtig auf der Arbeit festgestellt. Ich habe mich dann kurz mit meinem Mitbewohner per SMS darüber verständigt. Interessant: Alle SMS wurden versendet, nur eine, in der die Partei, deren Mitglieder verhaftet wurden, stand, wurde niemals verschickt (ja, ich schreibe den Namen hier nun absichtlich nicht hin…).Seit Mittwoch weiß ich nun auch, dass die Polizei SMS an die Menschen in der Stadt verschickt. Ganz freundlich wurde ich per SMS darauf hingewiesen, dass ich doch meine Bankdaten, meinen Namen etc. besser an niemanden weitergeben solle. Thanks for the information!

… hatte ich Besuch! Und wir haben viel Touri-Programm gemacht, aber auch die Bootsfahrten genossen und einfach nur die Stadt angeschaut. Leider mussten wir feststellen, dass die Bazare um 19 Uhr schließen, dafür gab es dann am ersten Tag aber „Istanbul-bei-Nacht-Programm“ – und das lohnt sich!
Die Blaue Moschee und die Hagia Sophia sind nachts unglaublich schön beleuchtet.
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Wir haben dann einen Tag später auch den Bazaren einen Besuch abgestattet. Während der Ägyptische Bazar völlig überfüllt war, weil u. a. irgendwer politisch wichtiges dort mit vielen Menschen um sich herum Fotos in Teppichgeschäften gemacht hat, haben wir umso mehr Zeit auf dem Großen Bazar verbracht. Nach ca. zwei Stunden haben wir festgestellt, dass wir trotzdem nicht mal die Hälfte des Bazars gesehen hatten. Es war wieder sehr beeindruckend, wie viele verschiedene Dinge verkauft wurden: Teppiche, Tshirts, Antiquitäten, Schmuck, Gewürze, Essen, Schals und vieles vieles mehr. Ich kam dieses Mal nicht drum herum und habe mir ein (wie ich finde sehr gut verhandeltes) schönes Backgammon-Spiel aus Holz gekauft. Funfact: Dieses sehr hochwertige Spiel habe ich dann eingepackt in Minions-Papier in einer Plastiktüte mit Motorsäge drauf bekommen.
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Wir haben uns auch den Topkapı Palast angeschaut. Leider ist aber zur Zeit ein großer Teil aufgrund von Sanierungsarbeiten gesperrt, sodass wir den Teil mit Ausblick aufs Wasser nicht sehen konnten. Aber auch so waren einige Teile der Ausstellungen sehr beeindruckend.
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img_5568Auch der Gülhane-Park vor dem Palast ist sehr schön. Im Frühling ist wohl der ganze Park voller Tulpen, aber auch jetzt waren viele Gärtner dabei, Pflanzen zu setzen. Außerdem gibt es viele kleine Papageien dort, für die hoch in den Bäumen Vogelnester angebracht wurden.
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Am Sonntag sind wir dann noch mit der Fähre auf die Büyükada, die größte der Prinzeninseln gefahren.Man fährt von Kadıköy in etwa 1 Stunde und 20 Minuten in den Süden der Stadt. Erstaunlich ist dabei, dass man immer weiter und weiter fährt, die Stadt aber einfach niemals aufhört. Bis zum Schluss konnten wir kein Ende der Stadt sehen. Büyükada ist die letzte Station der Fährfahrt, sodass wir auch vorher schon einen Blick auf die anderen wirklich hübschen Inseln werfen konnten. Alle Inseln sind (größtenteils) Auto-frei, wobei das in erster Linie bedeutet, dass fast nur Elektrofahrzeuge fahren (viele Roller, Fahrräder, …); nur Krankenwagen haben wir mit Motor gesehen. Büyükada besteht zu einem riesigen Teil nur aus Wald. Das in Verbindung mit der unglaublichen Stille ist wirklich ein krasser Kontrast zum Stadtleben in Istanbul, wo es eigentlich nie grün geschweige denn ruhig ist. Man kann dort gut entweder ein Fahrrad mieten oder unterschiedlich lange Kutschfahrten machen. Da wir nicht ausreichend Zeit für eine Fahrradtour hatten, haben wir uns für eine kurze Kutschfahrt entschieden, um wenigstens ein wenig mehr als nur die Fähranleger und das Drumherum zu sehen. Und das hat sich auf jeden Fall gelohnt! Für gut 20€ fährt man eine knappe Stunde über die Insel und kann die Stille, die Natur, aber auch die beeindruckenden Häuser/Villen bestaunen. Die Kutschpferde sahen überraschend gesund aus – wir haben auch andere gesehen, die eher vor die Kutsch-Taxen gespannt waren, die deutlich magerer waren.
Auf der Insel liefen (natürlich) auch unglaublich viele Katzen herum. Neben den Straßenkatzen, die es auch sonst überall in der Stadt gab, liefen aber auch viel zu süße und zutrauliche Babykatzen herum. Eine hätte ich fast mitgenommen – sie ist uns beim Weggehen noch hinterher gelaufen.
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In den drei Tagen haben wir auch viel Essen probiert – vor allem Fischgerichte waren super, aber auch einfache Gerichte wie Linsensuppe oder Lahmacun haben sehr gut geschmeckt. Dazu natürlich immer einen çay. Unterwegs haben wir häufig einen der leckeren frisch gepressten Säfte getrunken – Geheimtipp: Orange mit Granatapfel gemischt! Zum Essen bekommt man immer Brot gereicht. In einem Restaurant haben wir frisch gebackenes Brot bekommen:
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… habe ich viel gearbeitet. Das Praktikum läuft gut: Ich betreue ca. 4 Tage die Woche die Ausstellung „Mathematik zum Anfassen“ mit. Eine wunderbare Ausstellung, die mir als Schülerin viel geholfen hätte! In 16 Exponaten können die SchülerInnen mit mathematischen Phänomenen (Spiegel, Symmetrie, Wahrscheinlichkeit, Logisches Denken, Codes, …) experimentieren, diese erfahren und verschiedene Dinge ausprobieren. Das ganze läuft in den allermeisten Fällen zweisprachig, sodass die SchülerInnen auch in DaZ/DaF geübt werden. Da die SchülerInnen bisher immer unglaublich viel Spaß hatten, arbeite ich dort sehr gern! Ich mache die Einführungen in die Ausstellung, helfe bei den Exponaten (ja ja, ich lege einen Somawürfel jetzt in weniger als 10 Sekunden), unterstütze bei deutschen Formulierungen und lerne selbst noch das eine oder andere Wort auf Türkisch.
Außerdem sind wir gerade mitten in den Vorbereitungen für den Deutschlehrertag in zwei Wochen. Da bin ich schon sehr gespannt drauf, weil ich so viel selbst mit organisiert, vorbereitet und kommuniziert habe. Manchmal bin ich dabei so in die Arbeit vertieft, dass ich abends auf die Uhr schaue und die Überstunden schon angelaufen sind.
An diesem Wochenende und nächste Woche unterstütze ich außerdem bei der International Book Fair Istanbul, bei der auch die Frankfurter Buchmesse zu Gast sein wird. Neben verschiedenen Schülerworkshops werde ich SchriftstellerInnen betreuen und z. B. auch an einer Bootsfahrt mit lyrischem Programm zum Thema „Lyrik und Wasser“ teilnehmen. Das wird sicher spannend, allein schon, weil ich die AutorInnen kennenlernen werde!
Mein Projekt „Hausaufgabenbetreuung“ läuft nun auch in der zweiten Woche. Es kommen mal mehr, mal weniger Lernende, aber es ist immer super! Gerade heute war es sehr spannend, weil ich nur mit Lernenden gearbeitet habe, die gerade erst angefangen haben, Deutsch zu lernen und auch kein Englisch oder sonst irgendeine andere Sprache können. Aber auch das funktioniert und das ist schön zu sehen.
Also: Es ist viel los, viel abwechslungsreich und das finde ich total gut so! Ich bin mit all der Organisation und gleichzeitig der Arbeit mit den SchülerInnen voll in meinem Element und freue mich jetzt vor allem darauf, auch noch mit DeutschlehrerInnen zu arbeiten.

… war Atatürks Todestag. Am 10.11. ist besonders in Kadıköy viel Trubel, weil alle den Todestag gedenken. Die Fackeln an der Atatürk-Statue an den Fähranlegern waren heute angezündet, Kränze wurden abgelegt, Fahnen wehten und Menschen versammelten sich dort. Viele habe ich mit einem kleinen Bild von Atatürk angesteckt an die Jacke oder den Pullover gesehen. Ich finde, es ist wirklich etwas Besonderes, wenn so viele Menschen gleichzeitig in Gedenken sind.
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Wie schön ist das denn?

Voll schön!

Gestern war ich bei einem Couchsurfing-Event, das von einer Gruppe von Menschen unterschiedlichster Herkunft veranstaltet wurde. Sie selbst verfolgen ein Projekt, das sich „Spicyroad“ nennt (http://spicyroad.org    https://www.facebook.com/spicyroad/).  Sie trampen/fahren durch die Gegend, sammeln Rezepte und leisten Freiwilligenarbeit in NGOs, Flüchtlingsunterkünften etc., um mehr über die Arbeit mit geflüchteten Frauen zu erfahren. Start: Berlin. Das Ziel: Vietnam. Und danach zurück nach Berlin, um ein Restaurant zu eröffnen, in dem geflüchtete Frauen einen Arbeitsplatz finden können – und wo die gesammelten Rezepte aus aller Welt verkauft werden.
Die Gruppe verändert sich ständig, ich habe gestern sehr nette Menschen kennengelernt! 🙂 Außerdem finde ich es durchaus total schön, dass es noch Menschen gibt, die sich so für etwas engagieren möchten und sich für andere Menschen einsetzen.
Abgesehen von der Gruppe von „Spicyroad“ habe ich außerdem viele TürkInnen und Syrier kennengelernt – ein sehr netter Haufen und weitere offene Türen für Abenteuer in Istanbul!

Am Wochenende habe ich den höchsten Punkt Istanbuls (im Taxi) erklommen: Çamlıca.
Dort gibt es in erster Linie Funkmasten, aber abgesehen davon auch Cafés und Restaurants sowie Aussichtspunkte mit Blick über fast ganz Istanbul. Ich hatte ein bisschen Pech mit dem Wetter, weil es wolkig und neblig war; ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass man bei gutem Wetter fast bis zum Schwarzen Meer schauen kann. Man sieht in jedem Fall den Bosporus, das Goldene Horn und das Marmara-Meer..20161030_163742_richtonehdr
(auf dem Bild ist nur der Bosporus zu sehen)

Diese riesige Stadt ist jetzt mein Zuhause. Zuhause.. ein sehr großes Wort, das ich aber genauso gern benutze.

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Weil es doch recht kalt wurde, habe ich mich dann noch in eins der Restaurants gesetzt und habe endlich mal verstanden, was es mit den ganzen „Waffle“ auf sich hat. Überall werden Waffeln verkauft, was mich total gewundert hat. Dann habe ich selbst eine bestellt – man kann wirklich niemandem übel nehmen, wenn man das einfach nur unglaublich lecker findet (auch wenn das natürlich sämtliche Mahlzeiten eines Tages ersetzen kann)!

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Ich war nun auch bereits einige Male in der Zweigstelle des Goethe-Instituts auf der asiatischen Seite der Stadt. Auf dem Weg dort hin laufe ich an vielen Cafés und Restaurants vorbei. Eins hatte wegen Krankheit geschlossen. Ich finde es so so schön, was offensichtlich Stammkunden gemacht haben:

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Alles hängt voll mit Genesungswünschen oder kleinen Bildern.

Wie schön ist das denn?

Nun also doch…

Politik im Alltag.

In der letzten Zeit habe ich mich viel mit türkischer Politik auseinandergesetzt und finde das wirklich ganz schön kompliziert. Viele politische und parteiliche Entwicklungen haben unglaublich viele Verwurzelungen in der Entwicklung/Geschichte des Landes, Parteien haben sich gegenseitig beeinflusst, wurden umbenannt, wurden zusammengeführt. Mit der Zeit sind so ziemlich große Fronten entstanden, die ja nun auch mit großen Konfliktpotential dastehen. Gänzlich habe ich die Strukturen noch nicht verstanden, aber immerhin werden meine Einblicke größer.
In der Türkei haben nicht einzelne Städte Bürgermeister, die entsprechend einer Partei zugehörig sind, sondern (Stadt)Bezirke/Kreise (die ganz korrekte Übersetzung aus dem Türkischen wäre wohl „Kommune“) werden von BürgermeisterInnen unterschiedlicher Parteien geführt. Das macht es für eine Außenstehende wie mich noch viel undurchsichtiger.

Gerade Anfang der Woche wurde die Bürgermeisterin von dem Bezirk Diyarbakır, Gültan Kisanak, im Osten der Türkei samt ihrem Stellvertreter inhaftiert. Gültan Kisanak ist Mitglied der deutlich kurdischen BDP, die der HDP zuzuordnen ist. Die Regierung wirft der HDP Nähe/Unterstützung der PKK vor, weshalb sie nun mit dem neu eingerichteten „Anti-Terror-Trupps“ PolitikerInnen dieser Parteien besonders kontrollieren. Historisch gesehen wird Gültan Kisanak wohl auch noch Nähe zu Fethullah Gülen zugeschrieben, was das Konfliktpotential zur (AKP-)Regierung zum Kochen bringt. In dem Bezirk Diyarbakır ist das Internet nun fast vollständig gesperrt, Truppen durchsuchen immer noch Büros und Häuser.

„Der Osten ist doch weit weg von Istanbul!“ könnte man jetzt sagen. Richtig. Deshalb bekommt man hier eigentlich auch gar nichts mit. Gültan Kisanak ist aber für die kurdisch ausgerichtete Politik eine so wichtige Politikerin, dass es auch hier in Istanbul zu Protesten kam.
Gestern gab es wohl (davon habe ich nichts mitbekommen) eine Mini-Demo in Taksim. Heute früh wunderte ich mich über unglaublich viele Polizei-/Mannschaftswagen auf der Istiklâl, der großen Einkaufsstraße in der Innenstadt. Die Polizei wappnete sich für eventuelle Proteste/Ausschreitungen/… . Abends waren die  Wagen alle wieder weg, ich gehe davon aus, dass nichts passiert ist.
Heute Abend hatte ich mich eigentlich zum Tahvla-Spielen bei mir im Viertel verabredet. Auf dem Weg zur Fähre wurde ich dann von meiner Bekannten angerufen, dass wir das Treffen lieber auf morgen verschieben sollten. Die HDP habe bekannt gegeben, ihre Meinung zu den Inhaftierungen laut in allen Straßen Kadıköys kund zu geben. Das ist eine für dieses Viertel eigentlich nicht so gefährliche Angelegenheit, aber es gäbe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung mit entsprechenden Trupps einschreiten würde und das könnte gefährlich werden. Also: Treffen auf morgen verschoben.
Zugegebenermaßen habe ich absolut gar nichts davon mitbekommen. Auf dem Weg nach Hause war die Stimmung auf den Straßen keine andere und auch von zu Hause habe ich nicht mehr Sirenen als sonst oder Hubschrauber o. Ä. gehört. Aber in diesem Fall geht wohl Vorsicht vor Neugierde. Meine beiden Mitbewohner sind unterwegs – ich bin gespannt, ob die irgendetwas zu erzählen haben, oder ob das „einfach nur“ eine übervorsichtige Warnung war.

Viel schön!

Jeden Tag fühle ich mich ein bisschen mehr zu Hause.

Am Wochenende bin ich allein feiern gegangen, habe die Bars in meinem Viertel erkundet und sehr nette Menschen kennengelernt! Ich habe auch festgestellt, dass ich quasi vollständig von KünstlerInnen umgeben bin, was ich schön finde: nicht so eintönig. Ich habe also eigenen Anschluss in der Stadt gefunden, was durchaus ein Gefühl von zu Hause gibt 🙂

Mein Zimmer mache ich mir Stück für Stück gemütlicher – ich habe nun einen Teppich (ja: sehr türkisch!), der noch bei meiner Mitbewohnerin übrig war. Das macht es viel wohnlicher.

Bei meinem Praktikum bekomme ich nun auch immer mehr anspruchsvollere Aufgaben, was ich gut finde. Ich arbeite selbstständig, mache mir eigene Tagespläne. Heute habe und morgen werde ich in einem Sprachkurs im Programm der Vorintegration hospitieren: Menschen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gehen möchten, müssen nach entsprechenden Richtlinien eine Sprachprüfung A1 ablegen. Ich hospitiere nun in den Kursen, um mich schonmal mit den Arbeitsweisen und Inhalten vertraut zu machen, um dann ab November wöchentlich eine Hausaufgabenhilfe/Nachhilfeunterricht anzubieten – dann habe ich mich eigenes Projekt!
Bis dahin steht nun aber erstmal eine Großveranstaltung an „European Day of Languages“. Ein ganz spannendes Projekt wie ich finde, bei dem ich am Wochenende auch dabei sein werde.
Also: Es geht voran und vor allem bergauf! Weniger Büroarbeit, mehr praktische Erfahrung – perfekt!

Auf dem Weg von der Arbeit nach Hause freue ich mich immer noch jeden Tag über die Sonnenuntergänge (momentan mit die einzigen Fotos, die ich mache – sonst ist es ja vor allem Alltag), die sich ganz nach Wolkenlage unterscheiden. Gestern und heute morgen hat es geregnet, die Wolken sind langsam weg gezogen, aber ein paar waren heute Abend noch da – das ist das Titelbild des Beitrags.
Angekommen in Kadıköy sah der Sonnenuntergang dann so aus:

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Außerdem habe ich gestern und heute von der Fähre aus Delphine gesehen. Das war dann die richtige Vollendung der Romantik. Gestern sind fünf Delphine vor einem Boot her gesprungen, heute waren es „nur“ 2, die in der Nähe der Fähre geschwommen sind. Man sieht hier wohl manchmal Delphine, aber doch eher selten – ich hatte also doppelt Glück! 🙂

Auch die Abende an der Promenade bei mir im Viertel sind vom Blick her sehr schön. Nun habe ich durchaus einen guten Spaziergang-Weg gefunden:

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(All)Tageseindrücke

Ich stehe also morgens auf, gehe aus dem Haus und fahre mit der Fähre nach Europa. Egal wie windig setze ich mich dann meistens nach draußen aufs Deck, trinke meinen çay und genieße u. a. diesen Ausblick:

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In Karaköy angekommen sehe ich jeden Morgen den Mann am Fähranleger, der Nagelpflegesets und Gürtel verkauft und den Herrn beim Eingang der Unterführung, der Taschentücher anpreist. Es ist schön, jeden Tag Bekanntes in dem großen Durcheinander der Stadt wiederzufinden. Ich merke, dass ich mich für den Herrn mit den Taschentüchern richtig freuen kann, wenn sein Sack voll Taschentücher-Packungen abends nur noch halb so voll ist wie morgens. Durch die Unterführung durch steige ich in die Seilzug-Bahn im „Tünel“ ein und fahre den Berg bis zur İstiklal, einer großen Einkaufsstraße im Zentrum, hoch. Diese Straße laufe ich dann entlang, bis ich zum Goethe-Institut abbiege. Die İstiklal schläft nie – immer ist etwas los, immer sind Menschen unterwegs. Morgens freue ich mich immer über die vielen Katzen, die einen älteren Herren begrüßen, der sein Geld damit verdient, dass man sich auf seiner Waage wiegen kann. Zugegebenermaßen wirkt der Mann eher unfreundlich, aber Katzen sind einfach tolle Tiere..

Nach meinem Arbeitstag laufe ich die İstiklal zurück und habe erschrocken entdeckt: Die Weihnachtsbeleuchtung hängt schon und wird abends bereits angeschaltet! Hätten die nicht wenigstens bis November warten können? Ich habe heute noch Sandalen getragen…
Abends ist die Straße noch viel belebter als morgens, viele Straßenmusiker spielen v. a. türkische Musik. Mir gefällt es, wie sehr Straßenmusik noch wertgeschätzt wird – es stehen eigentlich um jede Gruppe Menschen, hören zu, machen Bilder und Videos und geben dann auch Geld. Auf meinem Weg nach Hause fahre ich nicht durch den Tünel, sondern laufe den Berg runter am Galata-Turm vorbei.

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Häufig beeile ich mich, um die Fähre nicht genau zu verpassen und dann 20 Minuten warten zu müssen. Trotzdem mag ich den Weg, finde es spannend, so viele verschiedene Menschen zu sehen. Manchmal bleibe ich kurz stehen, um etwas genauer zu sehen, besser mitzubekommen, besser beobachten zu können. Auch auf der Rückfahrt mit der Fähre setze ich mich meistens raus, wobei es dann doch manchmal zu kalt wird. Abends sind immer Musiker auf der Fähre, die manchmal gut, manchmal gar nicht gut sind – aber auch hier gilt: Die meisten Passagiere klatschen nach den Stücken, viele geben Geld im Anschluss. Wenn die Fähre ablegt, geht die Sonne meistens gerade unter, wenn ich ankomme, ist es fast schon dunkel geworden. So entstehen ganz viele verschiedene Farben am Himmel, die mich jeden Tag wieder beeindrucken..

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Mein Praktikum läuft seit dieser Woche und ich habe schon jetzt viele verschiedene Eindrücke gewinnen können. Die KollegInnen im Büro sind alle sehr freundlich und ich weiß mittlerweile schon einigermaßen, mit welchem Anliegen ich zu wem gehen kann. Seit gestern habe ich auch einen Schlüssel für das Büro, sodass ich mich deutlich akzeptiert fühle, auch wenn ich immer noch auch deutlichen Praktikanten-Status habe. Bisher habe ich mich viel mit Anmelde-Tabellen auseinandergesetzt, Bücher digital erfasst und andere stupide (wenn auch natürlich (!) sehr sehr wichtige) Arbeit erledigt. Ich konnte aber auch z. B. eine Rallye für SchülerInnen überarbeiten und so ein wenig praktischer arbeiten. Immerhin weiß ich, wofür die Verwaltung ist: Ab nächstem Monat wird es viele Veranstaltungen geben, die ich dann auch aktiv mit betreuen kann, sodass ich mal aus dem Büro raus komme. Gestern gab es einen Empfang für eine neue Abteilungsleiterin mit gutem Wein, leckerem Essen und viel Smalltalk – sehr anstrengend. Ich bin einfach nicht gut in „sehen und gesehen werden“ und „ich bin die beste in was auch immer“. Trotzdem war es spannend dabei zu sein und auch so etwas zu erleben. Und: Der Ausblick von der Dachterrasse auf fast ganz Istanbul bei Nacht war es sowieso wert.
Meine bisherige Arbeit scheint aber sehr wertgeschätzt zu werden: Heute haben sich verschiedene Leute bereits dafür eingesetzt, dass ich schneller mal aus dem reinen Büro-Leben raus komme, mehr machen kann. Immerhin! Ich bin auf jeden Fall gespannt auf die nächste Zeit, wenn es nicht nur darum geht, Namen in Tabellen einzugeben.

Über mein Zuhause freue ich mich immer noch. Die Lage ist einfach perfekt und die Menschen sehr freundlich und aufgeschlossen. Das Titelbild dieses Beitrags ist der Blick vom Fähranleger (ich laufe 10 Minuten dorthin) auf die europäische Seite – in klein zu sehen sind die Blaue Moschee, die Hagia Sophia und der Topkapı Palast. Die Verkäufer an den Marktständen kennen mich mittlerweile, freuen sich über mein gebrochenes Türkisch und versuchen, mir das Obst und Gemüse auf Türkisch beizubringen – dabei bin ich doch schon froh, wenn ich die Zahlen verstehe!
Es ist schön, sagen zu können, dass ich ein Zuhause habe. So fühlt es sich auch an. Für dieses Wochenende habe ich mir vorgenommen, mir mein Zimmer noch gemütlicher einzurichten, etwas an die Wände zu hängen. Das Wohnzimmer ist jedoch so groß, dass ich sowieso die meiste Zeit dort verbringe. Übrigens spannend: Wir haben keinen Fernseher, weil der (mal freihand aus dem Englischen übersetzt) „vorgefertigte politische Mist mich nicht den ganzen Tag von überall nerven soll“.
Meine Mitbewohnerin und mein Mitbewohner sind beide super nett, wenn auch häufig nicht zu Hause oder mit anderen Dingen beschäftigt. Trotzdem schaffen wir es, manchmal Zeit zusammen zu verbringen, ein Bier zusammen zu trinken. Aber auch das habe ich mir für dieses Wochenende vorgenommen: Mehr Leute kennenlernen! Große Pläne für so einen kurzen Zeitraum, aber auch ein großes Bedürfnis. Es ist schon komisch, all die vielen Menschen, die ich sonst so kenne und jeden Tag sehe, nicht mehr ums Eck zu haben. Gleichzeitig ist es aber auch ganz schön und gut, mal Zeit für mich zu haben und zur Ruhe zu kommen (Ich zwinge mich sogar, gerade noch nichts für die Uni zu machen – gar nicht mal so leicht!).
Schließlich bin ich doch erst zwei Wochen hier.. Es fühlt sich einerseits viel kürzer an, weil noch so viel ungewohnt ist; andererseits fühlt es sich viel viel länger an, weil ich bereits so viel gesehen und so viele verschiedene Sachen erlebt habe.

Spaß mit Türkisch hatte ich bisher jeden Tag. Beim Bestellen des Mittagessens bin ich eigentlich nie sicher, was ich wirklich bekommen werde – einen Tag bin ich von Kürbismuß mit Reis und Joghurt ausgegangen, bekam aber Hackfleisch mit Zucchini, Reis und Joghurt. Immerhin: Reis und Joghurt sind Wörter, die ich mir merken kann; für den Rest gebe ich Google-Translate die Schuld. Sehr lecker ist, wie ich finde, Menemen. Das ist für mich „türkisches Rührei“. Das Gericht besteht aus Eiern, Käse, Tomatensauce, Paprika und Zwiebeln und wird vermischt; dazu gibt es Brot.
Beim Einkaufen im Supermarkt habe ich auch so meinen Spaß – oder werde böse, weil ich zu ungeduldig bin. Ich war nach einem langen Arbeitstag auf der Suche nach fertiger Tomatensauce und habe keine gefunden. Also wollte ich passierte Tomaten kaufen, um mir möglichst schnell selbst eine Sauce machen zu können. Zu Hause angekommen durfte ich dann feststellen, dass ich eine große Dose (ja, eine der sehr großen Dosen) Tomatenmark gekauft hatte. Wer verkauft denn Tomatenmark in riesen Dosen?
Nach der Zeit, die ich nun doch schon hier bin, kam ich natürlich nicht drum herum, auch mal meine Wäsche zu waschen. Dann stellte ich fest, dass die Waschmaschine (auch dumm, anderes anzunehmen) vollständig auf Türkisch beschriftet ist und natürlich auch mehr als nur ein Mal ein 40-Grad-Programm anbietet. Ich saß so lange auf dem Boden vor der Waschmaschine mit meinem Wörterbuch und Handy-Übersetzungen, dass sich sogar der Kater zu mir gesellte.. Aber immerhin: Ich hab’s geschafft! Die Wäsche ist sauber und nicht eingelaufen.Nach all diesen, rückblickend doch sehr witzigen, Situationen habe ich noch mehr als zuvor das Bedürfnis, Türkisch besser zu lernen. Aber gar nicht mal so leicht, wenn zu Hause eigentlich nur Englisch und auf der Arbeit eigentlich nur Deutsch gesprochen wird. Es muss endlich ein Türkischkurs her..! Bis dahin lerne ich noch jeden Tag ein paar neue Wörter und erweitere so immerhin meinen Wortschatz. Zu meinen momentanen Errungenschaften gehören u. a. bis morgen yarın görüzürüs und scharf acı (was passenderweise gleichzeitig auch „Schmerz“ bedeutet).

Politikgeflüster

„Fühlst du dich sicher?“ werde ich gefragt. „Wie ist die Situation?“, „Pass auf dich auf!“

Hey, die Situation ist völlig unproblematisch – es fühlt sich zumindest so an. Im Alltag bekommt man von Politik und Terror nichts mit, wenn man nicht will (bzw. es sprachlich nicht versteht). Kluge Menschen sagten jedoch, dass man die Gesamtsituation im Alltag zwar gut ausblenden kann, das aber nicht heißt, dass alles okay ist. Was das auch immer genau heißen mag..
Ich habe verschiedene Menschen gefragt, wie sich die Situation seit Juli verändert hat. Mir wurde erzählt, dass TürkInnen in dem Moment der Terrorgefahr die Situation als sehr schlimm empfinden und im Nachgang eigentlich alles als Terror bezeichnet wird. Gleichzeitig „vergessen“ sie aber das Gefühl wohl wieder sehr schnell und leben „einfach“ „normal“ weiter.
Ich selbst habe die Polizei und das Militär bisher als nicht sehr präsent empfunden, bzw. nicht als einengend. Vieles habe ich als völlig normal angenommen (z. B. die schwer bewaffneten Polizisten vor einigen Banken). Witzig finde ich die Polizisten, die ich erst als Helfer o. Ä. wahrgenommen habe – sie tragen Warnwesten wie die Bahnhofswache oder so, sind aber ansonsten in ihrer Alltagskleidung. Sie tragen auch keine Waffen, Handschellen oder sonst etwas in der Richtung bei sich. Ich frage mich, welche Aufgabe sie tatsächlich haben. Da ich diese nun zu meinem Empfinden der Polizeipräsenz hinzu zählen „muss“: Ja, es gibt schon wirklich viel Polizei in der Stadt. Erzählt wurde mir, dass sich die Polizeipräsenz (Militär ist nicht so viel zu sehen. Wie auch – die wurden ja alle entlassen…) seit Juli doch deutlich erhöht hat. An einigen Fähranlegern und Metro-Stationen werden die Rucksäcke seitdem auch mit einem Piep-Gerät kontrolliert, bei einigen muss man durch einen Scanner laufen (die piepen jedoch jedes Mal – keine Ahnung, ob die funktionieren). Die Kontrolle hat sich also deutlich erhöht; es sind nun wohl auch mehr bewaffnete Polizisten – die, die bewaffnet sind, tragen häufig Maschinengewähre und halten ihren Finger in Abzugsnähe.
Auffällig finde ich, dass die Polizisten (und ja: Ich habe noch keine Frau unter ihnen gesehen) sehr sehr jung sind, ich würde sie alle jünger als mich schätzen.

Also: Man kann alles gut ignorieren, wenn man denn möchte. Ich habe mir gedacht „Nein, möchte ich nicht!“ und habe mich auf die Suche nach besagten Terror-Warn- und Patriotistischen-Plakaten gemacht – und sie gefunden! Riesen groß, ich schäme mich ein bisschen, dass ich sie vorher übersehen / weg ignoriert habe. Aber nunja – ich verstehe den Text ja auch nicht..

20161010_113959Der Google- Übersetzer auf dem Handy macht dabei besonders Spaß: Wir essen nicht die Auswirkungen der Terror Nation Türkei

20161011_144600Auch hier möchte ich den Google-Spaß nicht verwehren: Dominanz ist die Nation

Das „Terror-Plakat“ habe ich insgesamt drei Mal gefunden – am Taksim-Platz, an der Galata-Brücke (Foto) und in der Nähe der Fähranleger in Kadıköy. Das „Nation-Plakat“ habe ich nur zwei Mal gefunden – am Taksim-Platz (Foto) und an der Galata-Brücke. Besonders dieses habe ich vorher wahrscheinlich übersehen, weil auch so in der Stadt einfach unglaublich viele Türkei-Flaggen hängen, quasi überall. Wenn ich so darüber nachdenke, sind die Flaggen aber immer an öffentlichen Orten und niemals an Häusern oder anderweitig wohl privat angebracht.
Auf dem ersten Plakat steht tatsächlich: Wir sind eine Nation. Wir werden nicht durch den Militär-Putsch oder den Terror aufgegessen.
Auf dem zweiten Plakat steht: Souveränität gehört zur Nation
Immerhin sind die „Cirque du solei“-Plakate genauso groß wie diese und ungefähr genauso häufig in der Stadt vertreten – wenigstens noch ein bisschen bunt und (man glaubt es kaum): international!

Auf Nachfrage wurde mir erzählt, dass diese Plakate erst seit dem Militär-Putsch aufgehängt werden.
Mir wurde auch ein gutes Buch empfohlen, um mich weiter mit der Politik der Türkei auseinanderzusetzen: „Dare to Disappont: Growing Up in Turkey“
Im gleichen Zuge hat die Person mir auch erzählt, dass sie das Gefühl hat, die Türkei sei eine dumme Nation geworden und würde so erzogen werden – z. B. das Bildungssystem würde mit Absicht so häufig verändert werden, dass man sich nicht vernünftig auf Prüfungen etc. vorbereiten könne und so erst gar nicht wirklich anfangen würde zu lernen. Die Türkei habe keine Demokratie mehr, sondern sei eine Diktatur geworden.
Dazu noch eine kleine Anekdote: Heute habe ich erfahren, dass sich „die Politiker“ in der Türkei dazu entschieden haben, die Uhr nicht mehr in de Winterzeit umzustellen – so könnte die Sonnenenergie mehr genutzt werden (was sicherlich ein plausibles Argument ist). Gleichzeitig rückt die Türkei so noch mehr von anderen europäischen Ländern ab; die Zeitverschiebung ändert sich dann jedes Mal, wenn alle anderen Länder die Zeit umstellen. Dazu sagte eine kluge Person „In Diktaturen drehen die Uhren immer anders.“.